«Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind grosszuziehen.»

Andrea ist in unserer Wohnung im Gästehaus, beschäftigt mit Haushalt und Arbeit. Joshua ist wegen irgendetwas unglücklich und macht das lautstark der ganzen Welt kund. Das passiert hier und da, wie bei allen Kindern, und geht auch wieder vorbei. Schliesslich sollen doch die Kinder auch lernen, dass es nicht immer nach ihrem Kopf geht. Da geht die Türe der Wohnung auf, eine Bekannte kommt herein, nimmt den quengelnden Joshua und sagt, sie gehe dann mal spazieren mit ihm. Ja hallo? Da geht ja unsere Erziehung flöten. Kann denn da jeder mitreden wie unser Kind erzogen wird?

IN DER FAMILIE

Im Senegal ist Erziehung Sache der Grossfamilie und des ganzen Umfeldes. Traditionell wachsen die Kinder mit Grosseltern, Onkeln, Tanten und vielen Cousins und Cousinen auf. Jeder trägt zur Erziehung der Kleinen bei. Die älteren Kinder kümmern sich um die kleineren und machen dabei auch grosszügig Gebrauch von ihrem Recht, wenn nötig den jüngeren den Marsch zu blasen. «Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind grosszuziehen » ist hier nicht einfach ein Sprichwort, sondern Realität. So haben auch Nachbarn und sogar Besucher das Recht, die Kinder zurechtzuweisen. Autorität ist ganz wichtig. Eltern und generell Erwachsene sind Autoritätspersonen, denen man gehorchen und Respekt zeigen muss. Ein Kind wird nie einen Erwachsenen korrigieren oder seine Aussage in Frage stellen. Schon nur dass ein Kind einen Erwachsenen anspricht, ohne gefragt zu werden, ist eher selten. Entscheidungen werden von den Erwachsenen getroffen und nicht wirklich in Absprache mit den Kindern.

IN DER SCHULE

Das zeigt sich auch in der Schule. Der Lehrer ist klare Autorität. Was der Lehrer sagt ist richtig und wird nicht in Frage gestellt. Lernen tut man durch Abschreiben und Auswendiglernen. Es geht nicht darum, Zusammenhänge zu erkennen, kritisch zu hinterfragen oder zu eigenen Schlussfolgerungen zu kommen. Man lernt, was vom Lehrer gesagt und geschrieben wird. Als Andrea einmal einem Mädchen bei der Prüfungsvorbereitung helfen wollte, hat sie eine Frage gestellt, die nicht im Heft stand. Sie wollte sehen, ob die Schülerin alles verstanden habe, auch die Zusammenhänge. Die Antwort war, dass diese Frage nicht im Heft stehe und darum auch nicht gelernt werden müsse. Die Lehrperson ist auch klare Autorität, wenn es um die Einhaltung der Regeln und um korrektes Benehmen geht. Oft wird dabei auch geschlagen. Es gibt zwar mehr und mehr senegalesische Eltern, die sich dafür einsetzen, dass es nicht mehr geschieht, aber das geht nicht von heute auf morgen.

IN DER KIRCHE

In der Sonntagschule der lokalen Kirche wird ein ähnlicher Lernstil verfolgt. Die Kinder lernen viel aus der Bibel, sie lernen viele Verse auswendig und sie lernen ‘richtig’ zu beten. Formulierungen sind wichtig, Rituale und auch die ‘korrekte’ Körpersprache. Es gibt auch Prüfungen, um zu sehen, ob die Kinder denn auch alles verstanden haben. Diese Kinder haben viel Wissen und die gelernten Bibelverse sind ein Schatz, den wir uns auch für unsere Kinder wünschen. Unser Gebet ist, dass es für die Kinder eine Herzensangelegenheit ist. Das kann zeitweise herausfordernd sein, da wir unseren Kindern nicht in erster Linie Rituale und korrekte Formulierungen vermitteln wollen, sondern eben möchten, dass vor allem das Herz dabei ist.

IM SPANNUNGSFELD

Es ist manchmal ein Spannungsfeld für uns als Familie, die Kinder in diesem Umfeld zu erziehen und zu begleiten. Wir sehen aber auch viel Gutes, was zum Teil auch für uns bereichernd ist. Eine Gemeinschaft, die zusammen die Last der Erziehung teilt, die sich aushilft, die zusammen für die Kinder sorgt. Kinder, die Gottes Wort auswendig lernen und die Bibel kennen lernen und so einen Schatz fürs Leben anhäufen. So wollen wir weiter Ausschau halten nach den guten Seiten und davon lernen. Und gleichzeitig versuchen da, wo wir Einfluss haben, auch einzubringen, was wir wichtig finden.

Autoren: Simeon & Andrea