«Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.» (Psalm 90,12

Wir leben nun schon 35 Jahre in Südafrika. Früh schon wurde uns bewusst, dass die afrikanische Kultur ein anderes Verhältnis zum Tod hat, als die Schweizer. Beerdigungen sind sehr wichtige Ereignisse, die wenn immer möglich am Samstag stattfinden, damit möglichst viele daran teilnehmen können. Somit ist Sterben etwas, das hier zum Leben gehört. Die ganze Nachbarschaft nimmt daran Teil und hilft mit beim Schlachten und Kochen, sowie beim Auf- und Abbau des Zeltes.

WANN IST MAN ALT?
Die durchschnittliche Lebenserwartung in Südafrika ist 64 Jahre. Für mich war es manchmal komisch zu sagen, dass meine Eltern beide 94 wurden. Viele haben ihre Eltern schon in der Kindheit verloren. Pensioniert werden Männer und Frauen mit 60. Es ist ganz normal, mit 40 Grossmutter zu werden und dass Kinder und Grosskinder im gleichen Alter sind. Ich spreche vor allem von Grossmüttern, weil man von den Männern nicht viel hört. Sie sind leider im Leben von vielen abwesend.

Wenn man eine Schwiegertochter bekommt, darf man sich schon mal zu Hause pensionieren lassen, denn es ist nun ihre Aufgabe zu putzen, kochen und waschen, meistens für alle, die noch zu Hause wohnen. Ich bekam einmal von einer 53-jährigen Mutter diese Antwort: «Ja, ich bin alt und habe genug gearbeitet, es ist an der Zeit, dass ich mich bedienen lasse.»

Auf der anderen Seite gibt es immer mehr wirklich ältere Grossmütter, die nie zur Ruhe kommen. Es sieht so aus, als hätten sie einen Kinderhort, aber es sind alles Grosskinder, die sie grossziehen müssen, weil die Eltern an HIV gestorben sind. Oder die Töchter bekamen Kinder im Schulalter. In dieser Kultur kann man einfach die Kinder nach Hause bringen und dann weiter studieren oder arbeiten. Nicht selten landen bei einer Grossmutter vier Enkel von einer Tochter, die alle einen anderen Vater haben. Die Erwartungen an diese Grossmütter sind gross. Zudem leben oft alle von der kleinen Pension, die sie vom Staat bekommt. Älter werden ist nicht einfach.

IM PFLEGEBEDÜRFTIGEN ALTER
Ist man dann wirklich pflegebedürftig, wird man nicht selten abgeschoben. Eine Sozialarbeiterin, die Hausbesuche macht, meinte: «Die Alten werden nur an ihrer Beerdigung mit Respekt und Würde behandelt. Oft sitzen oder liegen sie in einer Ecke, bekommen ihre Mahlzeiten, aber sonst keine liebevolle Fürsorge. Ihre Kleider werden nicht gewechselt, und es stinkt nach Urin.»

Es gibt Altersheime, wo 20 Frauen in einem Zimmer leben und nur das Allernötigste erledigt wird. Wir machten dort jeweils Einsätze mit unseren Teenagern. Wie freuten sich die Bewohner, wenn wir mit ihnen Lieder sangen oder ihnen einfach zuhörten.

Vor allem unter Christen ist die Liebe und Fürsorge ganz anders. Eine junge Frau hat zum Beispiel ihre ganze Karriere aufgegeben, um sich ihrer Mutter mit Alzheimer anzunehmen. Sie pflegte sie Tag und Nacht über viele Jahre, danach auch noch ihren Vater. Spitex Einrichtungen werden nur noch für Aidskranke eingesetzt, und so kommen die Älteren, die Pflege bräuchten, wirklich zu kurz.

Traditionell gehört das Elternhaus dem jüngsten Kind, das auch verantwortlich ist für die Eltern. Aber auch da kommt es ganz auf das Herz und die Beziehung an. Ich kenne viele, die nicht die Jüngsten waren, die ihre Mütter versorgten. Eine andere Familienlösung ist, dass man ein etwa zehnjähriges Mädchen dorthin schickt und sie die Pflege übernehmen muss. In der Seelsorge habe ich schon oft von traumatischen Erlebnissen gehört, die diesen Mädchen eine natürliche Kindheit verwehrten.

BEERDIGUNG
Die Bestattung ist das Wichtigste. Diese nimmt sehr viel Zeit und Geld in Anspruch. Mindestens eine Woche lang gibt es jeden Tag Besuch, der bewirtet werden muss und am Abend eine Predigt mit viel Singen und Gebet. Ganz egal, zu welcher Kirche man gehört, alle glauben, dass Leben und Tod in den Händen Gottes sind.

Für die Gläubigen ist es eine Evangelisationswoche, um Familie, Nachbarn und Freunde mit dem Evangelium zu erreichen. Kinder jedoch werden übersehen und nicht ehrlich über den Tod informiert. Viele verspüren einen viel grösseren Verlust, wenn die Grossmutter stirbt, als wenn sie die eigene Mutter verlieren.

Autor: Esther