Öffne ihnen die Augen!
Es war mein erstes Jahr in der Mongolei. Die ersten Monate bestanden aus frustrierendem Sprachstudium und dem Leben in einer von Smog gefüllten Stadt. Als die Sprachschule einen Ausflug in die Natur ankündigte, freute ich mich sehr.
Die saubere Luft, die Hügel, die verstreuten Jurten und die Tiere waren eine Wohltat! Doch obwohl mitten unter Menschen, blieb mein Herz traurig und leer. Ich stand auf und ging weg. Besser irgendwo alleine einsam als in einer Gruppe! Meine Ausrede war, die seltene Natur geniessen zu wollen.
So kam ich zu einer Yakherde. Ich wusste nicht, dass Yaks aggressive Tiere sind, hatte keine Ahnung, dass sie nur vertraute Personen an sich heranlassen und dass es eine wahre Kunst ist, sie zu melken. In meiner Unerfahrenheit fand ich die kleinen Kälbchen in der Herde schlicht süss. So ging ich, ohne mir einer Gefahr bewusst zu sein, mitten in die Herde hinein, setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und beobachtete, wie die Yaks grasten und grunzten.
Auf einmal kam eines der kleinen Yakkälbchen auf mich zu und legte sich in meinen Schoss. Es liess sich streicheln und grunzte. Meine Hände wurden von seinem Fell fettig, hier und da war eine Zecke im Haar zu spüren, aber all das bewirkte, dass mein Herz ganz warm und weich wurde. Ein getröstetes Herz, das in der Einsamkeit Gemeinschaft und Nähe erlebte.
Als ich schliesslich wieder bei der Sprachschulgruppe ankam, teilten mir besorgte Mongolen mit, dass sie mir zu Hilfe hatten eilen wollen. Einfach in eine Yakherde hineinzugehen und das im Frühling, mit Kälbchen, war gefährlich!
In den darauffolgenden Jahren habe ich so manchen Bogen um Yakherden gemacht, wenn ein sich bedrohlich senkender, hörnerzeigender Yakkuhkopf darauf hinwies, dass irgendwo ein Kälbchen liegen musste.
Aber wenn Gott will, dann grast eine Yakkuh einfach weiter, auch wenn sich ihr Kälbchen in den Schoss eines Menschen legt, der Trost braucht.