Ich sitze mit muslimischen syrischen Frauen an einem Tisch. Laut dröhnt die Musik bei einer Hochzeit, so dass wir uns nur schreiend unterhalten können. Wir schauen den jungen tanzenden Mädchen zu. Da beugt sich eine Frau zu meiner Nachbarin und fragt: «Wer ist diese junge Frau mit dem silbernen Kleid?» Meine Nachbarin gibt Auskunft. Es folgen weitere Fragen nach dem Familiennamen und ob die Familie vertrauenswürdig, religiös und gut sei. «Aha!» denke ich, da ist jemand auf Brautschau für den Sohn.
Bei den Syrern suchen meistens die Mütter für ihre Söhne eine Braut. Wenn sie jemanden gefunden haben, versuchen sie, mit der Familie des Mädchens Kontakt aufzunehmen. Falls die Familie einverstanden ist, wird ein Termin für einen Besuch abgemacht. Für diesen Besuch wird das Haus blitzblank geputzt. Alle versuchen, sich von der besten Seite zu zeigen. Die herausgeputzte Braut wird von allen Seiten begutachtet und befragt. Dann muss die Braut erst mal Getränke und Snacks servieren. Auch hier wird beobachtet, wie sie sich anstellt.
Dann wird schon mal über die Konditionen, den Brautpreis und die Zukunft gesprochen. Es werden einige Versprechungen gemacht, die sich nach der Heirat auch wieder ändern können. Für die junge Braut ist es auch wichtig, einen Eindruck von ihrer zukünftigen Schwiegermutter zu bekommen. Die Mutter ihres Mannes wird einen sehr grossen Einfluss auf ihr Eheleben und ihre Familie haben. Denn das frischvermählte Paar wohnt meistens für ein paar Jahre bei den Schwiegereltern.
Falls beide Parteien einverstanden sind, kommt der Bräutigam zu einem Besuch vorbei. Die jungen Leute haben etwas Zeit, sich zu beschnuppern und kennenzulernen. Bei den Syrern aus der ländlichen Gegend des Horans ist die Braut meist zwischen 16 bis 19-jährig. Der Bräutigam ist etwa 10 Jahre älter. Meist wird ein Cousin geheiratet. In vielen Familien darf das Mädchen mitreden, ob sie diesen Mann heiraten möchte. Viele Frauen haben mir erzählt, dass sie in diesem Entscheidungsmoment vor allem ans ‹Prinzessin sein› gedacht haben. Sie haben an den Hochzeiten die wunderschönen Bräute bewundert, die ‹Walt Disney› Prinzessinnen gleichen.
Falls beide einverstanden sind, gibt es ein Verlobungsfest. Nach dem Fest dürfen sich die beiden offiziell sehen – meistens im Haus ihrer Familien. Die Verlobungszeit dauert in der Regel nicht lange, so zwei bis drei Monate. Der Bräutigam muss in dieser Zeit mindestens ein neues Schlafzimmer kaufen. Manchmal wird eine ganze Wohnung gemietet und möbliert. Die Braut kauft alles neue Kleider.
Je nach Geldmittel wird das Hochzeitsfest im Haus oder in einem gemieteten Saal gemacht. An der Hennaparty am Vorabend wird die Braut kunstvoll mit Henna bemalt, und es wird kräftig getanzt. Am nächsten Tag sitzt die Braut stundenlang beim Friseur und wird für das zweistündige Fest in eine wahre Prinzessin verwandelt.
Danach wird sie von der Familie des Bräutigams zum Fest abgeholt. In einer Autokolonne fährt die Hochzeitsgesellschaft laut hupend und johlend zum Festsaal. Manchmal wird das Abholen durch eine Gruppe mit traditioneller Musik unterstützt.
Die Frauen und Männer feiern in getrennten Räumlichkeiten. Es wird viel getanzt – einzeln und in Kreistänzen. Bei den Männern wird der Bräutigam beim Tanzen auch mal auf die Schultern genommen und gefeiert.
Nach einer Weile kommt der Bräutigam zu den Frauen und die Brautleute tanzen miteinander. Etwas später wird dann die Hochzeitstorte mit einem Schwert symbolisch angeschnitten, und Braut und Bräutigam füttern einander gegenseitig ein Stück. Dann bekommen auch die Gäste ein Stück Kuchen und eine Cola.
Nach einer Art Hochzeitstanz kehrt der Bräutigam zu den Männern zurück. Dort wird ihm herzlich gratuliert und auch etwas Geld zugeschoben. Am Schluss überreicht die Familie des Mannes den gekauften Goldschmuck. Der Bräutigam legt seiner Frau die Halskette, Ohr- und Armringe um und es werden Fotos gemacht.
Die Familien begleiten das Brautpaar zu ihrem Wohnort. Bevor die zwei ins Schlafzimmer verschwinden, wird die junge Braut von ihrer Mutter oder einer Tante im sexuellen Bereich aufgeklärt. Es bleibt für das Paar ein Riesenschritt – haben sie doch selbst ihre Eltern noch nie küssen gesehen.
Autorin: M. arbeitete bis vor kurzem mit ihrer Familie zehn Jahre im Nahen Osten unter syrischen Flüchtlingen.